Waste Land - Ein Film von Lucy Walker. Kinostart 26. Mai 2011 - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kunst + Kultur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 25.05.2011


Waste Land - Ein Film von Lucy Walker. Kinostart 26. Mai 2011
Undine Zimmer

Die vielleicht größte Müllhalde Lateinamerikas Jardim Gramacho bei Rio de Janeiro ist ein stinkender Arbeitsplatz, aber auch ein Lebensraum. Der brasilianische Künstler Vik Muniz erkundet in..




... "Waste Land" die "Müll-Stadt" und ihre BewohnerInnen. Dabei entdeckt er Schönheit in dem, was andere wegwerfen, aber auch tragische Geschichten und ein Stück von sich selbst. Er mischt alles zusammen und macht es zu Kunst.

Drei Männer stehen vor einem Müllsack, reißen ihn auseinander und sortieren seinen Inhalt. Sie lachen, machen Witze. Müll erzählt etwas über seine Verursacher. Armer Müll kommt in kleinen Tüten, Mittelklasse-Müll in großen, darin sind Verpackungen von technischen Geräten, alte Handys oder Bücher. Manche kosten im Laden noch immer eine ordentliche Summe.

Zumbi sammelt alle Bücher, die er auf der Müllhalde findet und bringt sie zu Tiao. Beide wollen eine Bibliothek mit den Büchern aus der Müllhalde aufbauen. So ist auch mal ein Buch von Machiavelli in den kleinen Baracken der Favela des Jardim Gramacho (Garten Gramacho) gelandet.

20 000 Menschen leben und arbeiten hier. Sie leben von und auf der Müllhalde. Wie die Vögel stürzen sie sich auf die ankommenden Laster, die ihre Last in Bergen auf dem Gelände ablassen. Alles was wiederverwertbar ist, Plastik, PVC, alte Schuhe, Eisen sammeln sie. 200 Tonnen wiederverwertbares Material tragen sie täglich zusammen. Wenn es dunkel geworden ist, arbeiten sie mit Taschenlampen weiter.

Dass ihre Arbeit als "Catadores" ("Müllpflücker"), wie sie auf Portugiesisch genannt werden, heute als eine offizielle Berufsbezeichnung anerkannt ist, haben sie Tiao zu verdanken. Er ist Präsident der ACAMJG Assosiacion of Pickers of Jardim Gramacho. Mit ihr kämpft Tiao kämpft für die Rechte, Sicherheit, Krankenversorgung und Ausbildungsmöglichkeiten der Catadores und ihrer Kinder. Auch die politischen Ideen des Niccolò Machiavelli hätten ihn inspiriert immer weiter zu machen, erzählt Tiao vor der Kamera.

Tiaos Geschichte ist die stärkste von den sieben Portraits, die der brasilianische Künstler Vik Muniz während seines zweijährigen Aufenthalts auf dem Jardim Garmacho aufnimmt. Weil Tiao von Anfang an für Viele denkt. Muniz porträtiert Tiao in einer Badewanne liegend, im Hintergrund die unendliche Weite des "Garbage Land". Ihn nimmt er mit nach London, als das Bild auf einer Aktion versteigert wird. Am Ende des Film ist es auch Tiao, der in einer brasilianischen Talkshow selbstbewusst den Moderator belehrt: "Wir sammeln keinen Müll, wir recyceln." Catadores haben ein großes Umweltbewusstsein. Niemand in Brasilien muss sich nach Tiaos Auftritt mehr schämen Catador zu sein.

Der Film konzentriert sich auf die Begegnungen zwischen Vik Muniz und den Catadores und den Entstehungsprozess der Portraits. Die Fotografien werden auf den Boden eines Ateliers nachgezeichnet. Die Umrisse lässt Vik Muniz mit dem Material von der Müllhalde nachlegen. Während der gemeinsamen Arbeit entsteht eine Nähe zwischen den Portraitierten und dem Künstler. Gleichzeitig ist immer spürbar, dass Vik Muniz zu einer anderen Welt gehört. In der er ein amerikanisches Haus mit einer großen Bibliothek besitzt und einen gewissen Komfort gewöhnt ist. Dass er auch in der Arbeit mit den Portraits die Anweisungen gibt. Dass er die Macht hat, in das Leben seiner Portraitierten einzugreifen und Hoffnungen weckt. Vielleicht ist es ihm deswegen so wichtig, immer wieder zu betonen, dass er aus einer armen brasilianischen Arbeiterfamilie stammt.

Die Bilder, die Vik Muniz erschafft, sind zauberhaft. Für die Catadores bedeuten sie vor allem eine persönliche Entwicklung. Vik Muniz hat aus dem Müll, mit dem sie täglich zu tun haben, etwas Schönes geschaffen, das sie sich nicht hätten vorstellen können. Er hat ihnen Möglichkeiten gezeigt. Als die Catadores ihre eigenen Portraits, umringt von der Presse, im Museum von Rio de Janeiro präsentieren, betreten die meisten zum ersten Mal in ihrem Leben ein Museum. Was sie aus der Erfahrung machen, bleibt am Ende ihnen selbst überlassen.

AVIVA-Tipp: Der Dokumentarfilm ist bereits mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter Publikumspreise auf der Berlinale 2010 und dem Sundance Film Festival für den besten Dokumentarfilm. Dieses Jahr ist "Waste Land" für den Oscar nominiert. Neben der Entstehungsgeschichte der Portraits von Vik Muniz erzählt "Waste Land" die Begegnung zwischen der Künstlerwelt New Yorks und den simplen Lebensrealitäten von Brasiliens "Müllpflückern". In dieser Begegnung werden viele Konflikte sichtbar. Die Einzelschicksale der Catadores skizzieren auch ein Portrait der brasilianischen Gesellschaft. Durch ihre Geschichten erzählen sie mehr als nur von sich selbst, ohne sich dessen bewusst zu sein. Vik Muniz ficht als Sohn aus einfachen Verhältnissen und privilegierter Künstler seinen eigenen Konflikt mit sich selbst aus. Er hätte selbst Catador werden können, stattdessen hat er in New York Karriere gemacht. Als Hintergrundfolie könnten die Welt des Jardim Gramacho und des Kunstbetriebs gegensätzlicher nicht sein. Keine Minute langweilig, anrührend durch seine starken Hauptfiguren und kraftvollen Portraits.

Zur Regisseurin und Autorin: Lucy Walker hat mit ihren Dokumentarfilmen "Countdown to Zero" und "Blindsight" bereits außergewöhnliche Sujets aufgegriffen, wie blinde Bergsteiger in Tibet oder Terrorismus. Sie ist in London aufgewachsen und hat in New York Filmregie studiert. Mehr über die Filmemacherin unter: www.imdb.com

Über den Künstler: Vik Muniz ist in Sao Paulo, Brasilien geboren und lebt seit 30 Jahren in New York. Er arbeitet mit ganz unterschiedlichen Materialien, von Zucker bis Diamanten. Mit seiner Kunst engagiert er sich auch in sozialen Projekten. Mehr über den Künstler unter: www.vikmuniz.net

Waste Land
Brasilien, Groß Britannien 2010
Regie: Lucy Walker
Co-Regie: Joao Jardim, Karen Harley
Produktion: Angus Aynsley, Hank Levine
Musik: Moby
Mitwirkende: Vik Muniz, Fabio Ghivelder, Tiao (Sebastio Carlos dos Santos), Zumbi (Jose Carlos da Silva Bala Lopes, Suelem (Suelem Pereira Dias), Isis (Isis Rodrigures Garros), Irma (Leide Laurentina da Silva), Valter (Valter dos Santos), Magna (Magna de Franca Santos)
Verleih: Real Fiction Filmverleih
Lauflänge: 98 Minuten
Kinostart: 26. Mai 2011
www.wastelandmovie.com

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Beitrag vom 25.05.2011

Undine Zimmer